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Sergiu Celibidache - Der Taschengarten Pocket
Garden - Jardin de Poche - Jardin de bolsillo
Celibidache hat dieses Stück als einziges seiner
Werke mit dem Radio Sinfonie Orchester Stuttgart aufgenommen, freigegeben
und die Schallplatte UNICEF gewidmet. Sein humanitäres philosophisches
Weltbild gab ihm auch seine besondere Liebe zum Kind. ´„Es gibt
leider viele Kinder, die keinen Garten haben. Aber sicher haben
sie eine Schublade zu Hause. Wir Kinder, die wir nicht so viel geweint
haben, haben für die anderen ein paar wahre, lustige, neue und natürlich
winzige Geschichten darin versteckt. .." Mit diesen Worten
beginnt Sergiu Celibidaches Einleitung zu seiner Komposition "Der
Taschengarten„, die er geschrieben hat, um den Kindern der Welt
zu helfen.
"Der Taschengarten": eine musikalische
Schublade voller Geheimnisse für Kinder, die in ihrer Erlebniswelt
etwas hören und fühlen sollen, was Erwachsenen verschlossen bleibt.
Dreizehn kleine Geschichtchen, wie z.B. Enterichs Predigt, Fisches
Nachtgesang, Käfertanz, Besenhengst im wilden Ritt u.ä. bilden ein
sinfonisches Orchesterwerk das sich im kompositorischen Stil an
Milhaud orientiert. Die Musik ist in knappen Sätzen klar und übersichtlich,
die Melodien sind dem Volksgut entnommen oder zumindest diesem deutlich
angepaßt. Celibidache hält durch ständigen Wechsel der Orchesterfarben
und durch raffiniert eingesetzte differenzierte Rhythmen das Interesse
der Hörer immer wach.
Der Taschengarten - Texte
Vorwort
Es gibt leider viele Kinder, die keinen Garten
haben. Aber sicher haben sie alle eine Schublade zuhause. Wir Kinder,
die wir nicht so viel geweint haben, haben für die anderen in diesen
schwarzen Rillen ein paar wahre, lustige neue und natürlich winzig
kleine Geschichten versteckt.
Dieser runde Teller könnte euch eines schönen
Tages, wenn ihr ihn immer in die gleiche Richtung drehen läßt, etwas
finden lassen, was die Erwachsenen in ihrem Garten vergeblich gesucht
haben.
Das alles kocht er mit Pünktchen, Bläschen, Noten,
Kleckschen, Strichchen, Pausen, mit Lachen, mit Seufzen und vielen
anderen kleinen Lauten, die man ernsten Instrumenten entlocken kann,
um die Bilder, die in euren Herzen wohnen, zum Leben zu bringen.
Ist das Musik? Jedenfalls nicht die, wie sie die Großen machen.
Flink und schnell, hält sie trotzdem nichts von Fingersätzen, auch
muß sie nicht laut sein, um zu wissen, ob sie richtig ist.
Aus Lächeln und Sonnenschein gemacht, kümmert
sie sich nicht um morgen und würde frieren - selbst in der besten
Gesellschaft - wenn man sie zwischen die Seiten eines Kataloges
preßte.
Wenn ihr's nicht weitersagt: In jedem Stück dieser
Platte steckt eine verbotene Frucht, grün und sauer wie die vom
Obstgarten des Nachbarn, die euch so gut schmecken und die die Ahnungslosen
reifen lassen. Überlaßt den Großen die Sorge, herauszufinden, was
nicht schön ist an dem, was wir schön finden.
Texte
I. Kinder kommt rein! Schnell, schnell
- alles geht sehr schnell. Wir haben es eilig. Wir wollen nicht
einer nach dem anderen reinkommen; alle auf einmal durchzugehen,
vor allem, wenn die Tür eng ist, ist viel schöner. Gewiß bleibt
niemand bei dieser Geschwindigkeit draußen.
II. Meister Wind läßt Tulpen singen Hier
sind Blumen, die so schön sind und auch so schön singen wie die
anderen, auch wenn sie keine lateinischen Namen haben. Was den Wind
angeht: Da haben wir nichts Besonderes gefunden; es ist ein Wind
wie jeder andere.
III. Enterichs Predigt Es gibt Wahrheiten,
die viel gewinnen, wenn sie gesungen werden, besonders mit einer
solchen wahren Stimme: Es ist eine große Sache, daß man nicht unwichtig
bleibt, denn das Unwichtigbleiben ist keine große Sache.
IV. Ahornsamen schwirren Rätsel Habt
ihr's erraten? Selbst wenn es nicht richtig ist, seid ihr nicht
weit weg.
V. Kein Himmelsruf mehr noch der alten Tanne Der
Himmel, Traum aller Tannen, ist zu weit weg für unsere Tanne. Sie
ist so alt, daß sie seinen Ruf nicht mehr hört. Ihr Drang nach
oben vergeht. Ihr grünes Kleid wird schwarz, ihre Nadeln fallen
herunter. Wie traurig ist es, alt zu werden hier unten!
VI. Käfertanz Tanze, tanze Käferlein,
leuchtend grün und winzig klein, ein Schritt vor und zwei zurück,
dreh mal dich, nach vorne bück, tanze, tanze Käferlein, bald bist
du nicht mehr allein, denn wir tanzen mit jeden Schritt.
VII. Fisches Nachtgesang "Man singt
selbst in der Nacht!" "Wer ist es?" "Es
ist ein Frosch." "Was du nicht sagst!" "Ein
Krabbentier?" "Warum nicht zwei?" "Wer
ist es dann?" "Wenn's nicht 'ne Kröte ist, dann ist
es halt ein Fisch." "Ein - Fisch, - der - singt - bei
- Nacht?" "Er singt nur in der Nacht, am Tage spielt
er stumm!"
VIII. Besenhengst im wilden Ritt Lucky
Luke, der berühmte Cowboy, der sonst auf seinem Pferd "Jolly
Jumper" reitet, gab uns die Ehre, heute einem wilden Galopp
zuzuschauen. Dabei ritt er auf dem besten Besen unseres Stalles,
dem schnellsten Vollblüter, den Arabien je hervorgebracht hat!
IX. Mein Igel, wo bist du? Mein Gott,
welch ein Unglück! Kipick ist verschwunden! Laß mich in Ruhe! Kipick,
wo bist du? Hörst du mich weinen? Nein, ich will nichts anderes.
Was könnt ihr schon verstehen! Ihr seid nie so klein gewesen wie
ich. Mein Herz hat mich verlassen. Ein Schluchzen, größer als meine
Brust, schlägt an seiner Stelle. Mein Schmerz ist so groß wie meine
Liebe. Man kann sie nicht ersetzen. Wenn Großwerden heißen soll,
neue Freuden zu finden, wie Ihr sagt, dann will ich gerne klein
bleiben, so klein und dumm wie Kipick. Mit ihm ist meine ganze Weit,
die einzige, die ich gekannt, die einzige die ich geliebt haben,
verschwunden.
X. Grünes Gebet Vater unser, der Du
bist im Himmel: Was könnte ich Dir sagen, was Du nicht weißt!
Wenn Du mir noch einmal verzeihst. daß ich zu Dir bete, um Dich
um etwas zu bitten: Sag ihm schnell, daß ich ihm auch verzeihe.
Er soll keine Angst haben zurückzukommen. Ich verspreche Dir, ihn
niemals wieder allein zu lassen, und wenn der Gott der Igel es erlaubt,
dann werde ich ihm sogar die Gebete, die ich vergessen habe, beibringen.
Laß mich über ihn wachen, so wie Du über mich wachst! Danke!
XI. Dankgeschnatter. Aus einem Igel wurden
zwei. Seht nur! Ein Wunder! Das kann nicht sein! Da ist
Kipick! Das ist unmöglich! Doch, doch, er ist es! Was für
eine Aufregung! Aber aufgepaßt - er ist ja nicht allein. Bonjour,
Madame! Die Blätter flüstern: "Das ist Kipick. Grüß Gott
ihr zwei!" "Sticht sie denn auch?", fragen die Rosen
und zünden ihre Lichter an. Die Blumen glühen rot, das Feuer sprüht,
die Steine tanzen, der Staub muß husten, die Tränen glänzen, die
Locken brennen. Das Fest geht in die Luft! Welch' eine Freude! Was
für ein Sturm aus rosa Schnee! Wie lieb bist Du, mein lieber Gott!
Bist Du denn alt?
XII. Es regnet in die Gießkanne Da der
Regen das Fest des Gartens ist, haben wir einen besonders schönen
für heute bestellt. Die kleinen hüpfenden Tropfen laden alle zum
Reigen ein. Es regnet, es gießt, es fließt. Es ist voll, überall
schlürft es. Der Regen breitet seinen kühlen Mantel über alles aus. Die
feinen weichen Regenfäden machen alles naß: Neugierige Füße, zu
lange Hosen, alle stolzen Schnurrbärte und allerhand andere staubige
Sachen, die in einem durstigen Garten weilen können. Und auf
einmal erhebt sich aus einer Pfütze die Gießkanne. Da sie selbst
ein Regenmacher ist, will sie nichts mit einer solch' lieblosen
Dusche zu tun haben. Sie reitet auf Wellen, schreit, schimpft
und zischt vor Verachtung. Aber nicht für lange, eine dicke Welle
zeigt ihr mit dem weißen Handschuh den Weg zum Mutter-Tal, wo alle
Spiele des Wassers enden.
XIII. Das ist alles Das wär's, Kinder! Paßt
auf, daß die Schublade trocken ist, wenn ihr sie schließt. Laßt
uns rausgehen, so schnell wie wir gekommen sind durch dieselbe Tür,
wenn sie noch da ist.
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